Askalaphus oder die Eule mit dem Tweed
Ort: Wien, U1 und das Riesenrad, am 26. Dezember um 20 Uhr
Sie ging schnell. Durch die Gänge der Wiener U-Bahn. Draußen war es Nacht, hier war es warm. Sie floh vor dem dritten Mann. Jenen, den sie nicht kannte. Jener, der im Hintergrund blieb. Eine vage und ungenaue Gestalt. Die sie zu erkennen glaubte. Durch seine präzise Geschwindigkeit. Sein Blick hatte etwas Beunruhigendes. Wie eine bis zur Hälfte in schwarze Erde hineingestoßene Metallfaser.
Ihr Schritt wird schneller. Sie wird von der U-Bahn verschluckt. Die dichte Menschenmenge verschlingt sie. Sie wehrt sich. Will aus dem Abteil, wo die Luft zum Atmen fehlt. Sie versucht das Fenster zu öffnen. Alles ist verschlossen. Hinten im Abteil. Sie sieht den dunklen Tweed- Mantel des Mannes. Ruckartig bleibt die U-Bahn stehen. Die Türen gehen auf. Sie drängt auf den Bahnsteig. Fängt sich und beginnt zu laufen. Praterstern. Sie steuert den Ausgang an. Sie verschwindet im Dunkel der Nacht. Der Lärm des Vergnügungsparks dröhnt in ihren Ohren.
Die Menschenmenge, eine schlaffe, riesige Schlange, stößt sie und stößt sie wieder in einem hemmungslosen Tanz. Sie will zur Tür. Reißt sie auf. Fällt in die kleine Gondel, dessen beängstigende Ruhe sie erstarren lässt. Sie bleibt abrupt stehen. Wie eine Blinde krallt sie sich in die Holzwand. Fasst in der Ecke nach einem runden Gegenstand, glatt und hart beim ersten Kontakt. Plötzlich ist die Gondel erleuchtet. Sie beginnt zu schwanken. Ein Boot ohne Steuer. Sie steht langsam auf. Der Ruck des Anfahrens wirft sie zu Boden. Sie zerdrückt was ihr aus den Fingern gleitet, es ist eine Frucht. Eine überwältigende Kraft presst ihre Lippen zum aufgesprungene Fruchtfleisch. Sie kostet die fleischigen Kerne, die in ihrem Mund explodieren in einer üppigen Sensation der Schönheit.
Die Gondel steigt. Das Riesenrad dreht sich mit mathematischer Genauigkeit. Am Fenster angeklammert fixiert der Mann mit dem dunklen Tweed den Körper der jungen Frau berührt von dem fleischlichen Rasen.
Seine metallenen Augen leuchten auf während sich sein Mund zu einem außerordentlichen klangvollen Lachen öffnet. Er verkündet der Welt das Erlebte mit Persephone. Schon sind die Neuigkeiten im Umlauf, verformen sich durch die Menschenmenge.
Der Mann mit dem Tweed stellt sich den Interviews. Er erzählt. Wiederruft. Verrät.
Das junge Mädchen gefangen auf ihrem großen Weg streift die Sonne um wieder auf die Erde zurückzukommen. Die Frucht erhitzt ihre Arterien. In ihrem Fleisch lebt sie ihr Leben.
Beim Anblick des Mannes mit dem Tweed- Mantel beginnt sie an einen Totenvogel zu denken.
Der Prater ist weiß . Es ist Winter. Das Riesenrad geht nicht mehr. Es ist Nacht. Alles schläft. Nur eine schwarze Eule ruft in den Abend. (CFB-2009)
(Ubersetzung: Dr. Elisabeth Zorman)